Volksglauben

„Schneckeschnickeschnack“

„Alles neu macht der Mai, macht die Seele frisch und frei“. Manche Leser werden sich noch des alten Kinderlieds erinnern. Mit dem Mai öffnet sich die Tür zum Sommer. Kein Wunder, dass man den ersten Maitag in vielen Kulturen besonders feiert. Schon der Vorabend bietet Anlass zu großen Feiern, die heute gewöhnlich als „Tanz in den Mai“ firmieren – oder als „Walpurgisnacht“, die vor allem im Harz zur touristischen Attraktion geworden ist. 

Wie immer Ende April baumeln dort an Sträuchern und Bäumen bunte Bänder, die vielerorts die Maikönigin willkommen heißen, eine gute Fee, die Hexen und Teufel vertreiben soll: Dämonen, die im Volksglauben vor allem rund um den Brocken, die höchste Erhebung im Harz, zu Hause sind. 

Ende des 15. Jahrhunderts hatten Theologen im „Hexenhammer“, einem mittelalterlichen Bestseller, erstmals ihre Praktiken detailliert beschrieben. Dem Höllenfürsten, konnte jeder darin nachlesen, verdanken die Hexen ihre Macht, vor allem ihre Fähigkeit, anderen Schaden zuzufügen und durch die Lüfte zu reiten. Die Kraft zu ihren Höhenflügen nahmen sie angeblich aus der sexuellen Vereinigung mit dem Satan. 

Von Zauberinnen "uf den Brockisberg"

Schon ein Beichtbuch, ebenfalls aus dem 15. Jahrhundert, sprach von Zauberinnen, die „uf den Brockisberg varen“, einer Art Zauberberg, den sie mit Hilfe eigens gebrauter Flugsalbe ansteuerten. Anfang des 17. Jahrhunderts berichtete der protestantische Pfarrer Johannes Coler, ein Schlesier, in seinem immerwährenden Kalender von pöbelnden Menschen, die am Vorabend des ersten Maientags „viel Teuffeley“ praktizieren. 

Die größte Popularität aber verschaffte Johann Wolfgang von ­Goethe dem Treiben rund um den Blocksberg, den Brocken, den er im Dezember 1777 bestiegen hatte. „Im Walpurgisnachtstraum“, Teil seiner Tragödie „Faust“, beschrieb er den Tanz in den Mai als „Schneckeschnickeschnack“: als Party maskierter Gestalten, die gelegentlich durch ein Feuer sprangen und zu Dudelsackklängen die Schuhe durchtanzten. Für Goethe war das Walpurgis-Treiben ein sexuell aufgeladenes Narrenfest, veranstaltet von einem „Lumpenpack“. 

Dass man die ausgelassenen Feiern bis heute ausgerechnet mit dem Namen einer Heiligen etikettiert, liegt aber ausschließlich daran, dass der 1. Mai ursprünglich dem Gedenken an die heilige Walburga (Walpurgis) gewidmet war, einer im frühen achten Jahrhundert in England geborenen Ordensfrau, deren Onkel der heilige Bonifatius war. Der erste Maitag war der Tag ihrer Heiligsprechung – und weil der Kirchentag bereits mit der Vigil am Vorabend beginnt, wurde das närrische Treiben am letzten Aprilabend zur Walpurgisnacht. 

Am Vorabend des Marienmonats Mai

Da ein Narrenfest am Vorabend des Marienmonats Mai aber ganz und gar nicht in die Vorstellungen eines Heiligentags passte, verlegte die Kirche das Gedenken an Walburga inzwischen auf ihren Todestag, den 25. Februar. Nicht auszurotten aber war der Volksglaube an übersinnliche Mächte, der vermutlich in keltischen Zeiten wurzelt, als mit dem noch heute von Neu-Heiden gefeierten Beltane-Fest am ersten Maitag der Sommer eingeläutet wurde. 

Teil dieses Festes sind und waren große Feuer, wie sie auch die Walpurgisnacht lange Zeit prägten und in denen man die einst als bedrohlich empfundenen Hexen in Gestalt von Strohpuppen oder alten Besen verbrannte. Mancher Landmann steckte die alten Besen zudem zu Walpurgis umgekehrt in den Boden, so dass nur noch die Stile herausragten. 

Gewohnte Ordnung verstellen

Als „Wolpertenabend“ gingen die Walpurgisnächte vielerorts ins Dorf­leben ein. Die bösen Geister suchte man zu vertreiben, indem man ihnen die gewohnte Ordnung verstellte. Dahinter steckte die Vorstellung, dass der Teufel und die Hexen als seine Helfer gefährlich, aber dumm seien. So nagelte man Fenster zu, verstellte Tore mit beweglichen Sachen und verrückte Gegenstände wie Pflug oder Mist­wagen, die nicht selten auf dem Dach oder umstehenden Bäumen landeten. Hin und wieder wurde sogar das Vieh in den Gemüse­garten des Nachbarn gescheucht. 

Träger dieser Bräuche waren meist junge Burschen, welche die Freinacht zudem zur Ausübung des Rügerechts nutzten. In dessen Rahmen wurden wie andernorts etwa zur Fastnachtszeit Menschen bestraft, die in den Augen der Dorfgemeinschaft von der gesetzten Norm abwichen. Dazu gehörten etwa unverheiratete Frauen, denen man einen Mann aus Stroh vor die Tür hängte. Geheime Liebschaften machte man öffentlich, indem man von der einen zur anderen Haustür eine Spur aus Kalk oder Öl zog. 

Was früher als Schabernack galt, wird heute meist als Straftat verfolgt, weshalb die Walpurgisnacht für die Polizei in vielen Bundesländern zu einem arbeitsreichen Abend geworden ist. Manchmal kann der „Tanz in den Mai“ sogar in regelrechte Straßenschlachten ausarten – in Berlin und Hamburg zum Beispiel.  

Günter Schenk